Liebe Mitbürger,

zwei Charakteristika prägen den Volkstrauertag: Gedenken und Mahnung. Wir gedenken unserer Gefallenen und Vermissten und auch aller zivilen Opfer von Krieg und Terror. Und aus diesem Gedenken erwächst die Mahnung, selbst eingedenk der Kürze und Hinfälligkeit unseres Lebens zu sein und unser Möglichstes zu tun, um Frieden zu bewahren bzw. wiederherzustellen.

Wir trauern um die Toten der beiden Weltkriege ebenso wie um die Gefallenen der Bundeswehreinsätze. Wir teilen als Gemeinschaft den Schmerz der Angehörigen, die ihre Väter und Mütter, ihre Söhne und Töchter, Geschwister und Verwandten verloren haben.

Gemeinsam zu trauern und zu gedenken, ist der Sinn dieses Tages, „über die Schranken der Partei, der Religion und der sozialen Stellung“ hinweg, wie es in einer Formulierung zur Einführung des Volkstrauertages heißt.

Der Volkstrauertag wurde zu Beginn der 1950er Jahre bewusst in den November gelegt, eine Zeit, die sich in der Liturgie mit Tod und Vergänglichkeit, Zeit und Ewigkeit befasst. Davon zeugt auch die Lesung des heutigen Sonntags aus dem Buch Hiob: „Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht.“ (Hiob 14,1f)

So erinnern uns die Toten, derer wir heute gedenken auch an die Hinfälligkeit des irdischen Lebens. Die meisten von ihnen waren noch jung, hatten Pläne, Ziele, Träume, hatten vielleicht gerade eine Familie gegründet und wurden in der Blüte ihrer Jahre aus dem Leben gerissen. Wie kostbar ist ein Menschenleben und wie schnell kann es vorbei sein! Niemand von uns weiß, wie viel Zeit ihm noch bleibt.

Nutzen wir die Zeit, die wir haben! Das Evangelium vom Weltgericht (Matthäus 25,31-46), das uns Christus als den gerechten Richter vor Augen stellt, der Gute und Böse nach ihren Taten richtet, gemahnt uns daran, nicht leichtfertig mit dem uns verliehenen Geschenk unseres Lebens umzugehen. Und es sagt auch: Christus ist der Richter – nicht wir sind es. So soll auch das Totengedenken des heutigen Tages ein tatsächliches Gedenken und kein Richten unsererseits sein! Das steht uns nicht zu.

Und schließlich mahnt uns der heutige Tag zum Frieden. Friede ist möglich. Nach dem entsetzlichen Gemetzel des Ersten und Zweiten Weltkriegs haben sich ehemalige Feinde über den Gräbern der Gefallenen die Hand gereicht und Europa eine lange Zeit des Friedens geschenkt. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus haben Völker, die zuvor in bis an die Zähne bewaffneten Machtblöcken gegeneinander standen, wieder zueinander gefunden. Was für die Zeitgenossen wenige Jahre zuvor unmöglich erschienen war, wurde Wirklichkeit.

Angesichts der kriegerischen Konflikte der Gegenwart mögen uns Friede und Versöhnung ebenfalls unmöglich erscheinen. Aber im Vertrauen auf Gott und mit dem festen Bestreben, uns nach Kräften für den Frieden einzusetzen, werden wir sehen: Frieden ist gerade in unserer Zeit notwendig und auch möglich.

Ihnen und Ihren Familien wünsche ich von Herzen einen gesegneten und besinnlichen Sonntag

Ihr

Joachim Kuhs