Liebe Mitbürger,

am ersten Sonntag nach Epiphanias gedenken wir traditionell der Taufe Jesu im Jordan. Das ist eine Gelegenheit, auch unserer eigenen Taufe in Freude und Dankbarkeit zu gedenken.

Im Evangelium von der Taufe Jesu (Matthäus 3,13-17 und die Parallelstellen) begegnet uns auch Johannes der Täufer, der letzte der großen Propheten, der Vorläufer Jesu. Johannes ist zunächst erstaunt, dass Jesus zu ihm kommt, ja, er sträubt sich anfangs, ihn zu taufen und spricht: „Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde, und du kommst zu mir?“

Die Taufe des Johannes war eine Bußtaufe, bei der die Menschen ihre Sünden bekannten und baten, davon gereinigt zu werden. Verständlich, dass Johannes irritiert ist, als Jesus sich in die Gruppe der Sünder einreiht, schließlich ist er der Messias, der sein Volk von seinen Sünden erlösen soll. Doch Jesus entgegnet: „Lass es jetzt zu! Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.“

Das ist die Gerechtigkeit Gottes: Jesus, Gottes Sohn, der ganz und gar Sündenlose macht sich für uns zur Sünde, um uns von unseren Sünden zu befreien. Und so wie er in die Fluten des Jordan eingetaucht wird, so wird er später am Kreuz in die Fluten des Todes getaucht, er wird unsere Sünden ans Kreuzesholz heften (vgl. Kolosser 2,14) und dadurch der göttlichen Gerechtigkeit Genüge tun. Und er wird glorreich auferstehen und uns Anteil an seinem göttlichen Leben schenken.

Jesus selbst gibt einen Hinweis auf den Zusammenhang der Taufe mit seinem Hinabtauchen in die Gottverlassenheit am Kreuz: „Aber ich muss mich taufen lassen mit einer Taufe, und wie ist mir so bange, bis sie vollendet ist!“ (Lukas 12,50). Und die Zebedäus-Söhne weist er mit den Worten zurecht, dass vor dem Triumph der Abstieg kommt: „Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?“ (Markus 10,38)

Das war für die Zeitgenossen – auch für Johannes – schwer zu verstehen, doch er akzeptiert Jesus als den Größeren. Wenig später bekennt der Täufer sogar: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“ (Johannesevangelium 3,30) Johannes akzeptiert voll und ganz seine Rolle als Vorläufer, als Wegbereiter des Größeren. Er wird damit zum Vorbild jedes Christen, der Jesus verkündet: Wir alle sollen auf Jesus verweisen, als den Größeren, als den Messias und Erlöser.

Doch ist es in den Kirchen unserer Zeit nicht oft gerade umgekehrt? Die Einzigartigkeit Jesu, seine Gottessohnschaft, seine messianische Sendung, sein Erlösungswerk werden verschämt verschwiegen. Von der Gestalt Jesu bleibt oft nur der pazifistische Weisheitslehrer übrig, der uns ein paar schöne Zitate hinterlassen hat und ansonsten alle Fünfe gerade sein lässt. Stattdessen bemühen sich die Kirchen um Anerkennung bei der Welt, indem sie ihre gesellschaftliche Bedeutung und ihre irdischen Leistungen hervorheben. Das jenseitige Heil in Jesus Christus gerät dabei völlig aus dem Blick. Es läuft tatsächlich auf eine Umkehrung des Täufer-Zitats hinaus: Jesus soll schrumpfen, wir wollen wachsen!

Es ist höchste Zeit, dass diese Fehlentwicklung korrigiert wird, dass wir uns wieder an Johannes dem Täufer orientieren. Nicht unsere eigene vermeintliche Großartigkeit ist das Ziel der Verkündigung, sondern Jesus als der Christus. Wir sind nur Vorläufer, Wegbereiter für den Größeren. Indem wir unsere Mitmenschen auf Christus verweisen als ihren persönlichen Erlöser, machen wir ihnen das größte Geschenk.

Ich selbst verweise an meinem Arbeitsplatz – dem EU-Parlament – immer wieder auf Christus, das Christentum und die christlichen Wurzeln Europas. Denn wir dürfen nicht zulassen, dass dieses christliche Erbe ausgelöscht wird. Haben wir daher keine Scheu, uns zu unserem Glauben zu bekennen.

Ihnen allen und Ihren Familien wünsche ich einen fröhlichen, gesegneten Sonntag.

Ihr

Joachim Kuhs